eastPLUGGED® Konzerte Archiv

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DANCE │ 27. August 2021

TINGVALL TRIO │Martin Tingvall [p] │Omar Rodriguez Calvo [b] │Jürgen Spiegel [dr]

Obwohl wir aus Verantwortung den Musikern und Gästen gegenüber nur etwa die Hälfte der Plätze belegt hatten kam nach den 9 Konzerten während der Pandemie mit deutlich weniger BesucherInnen schnell wieder „Stimmung wie in alten Tagen“ auf, denn mit „DANCE“ startete das Tingvall Trio bereits beim ersten Stück mehr als fulminant. Interessant, was sich auch in weiteren Kompositionen dieses Programms fortsetzte: das Trio nimmt alle sofort mit. Die dynamischen Anschläge, Akkorde und Läufe von Martin Tingvall am Klavier oder die prasselnden edge-clicks des Drummers Jürgen Spiegel durchdrangen rasch den ganzen Körper, das Publikum swingte. Und wenn dann Omar Rodriguez Calvo sein variantenreiches, virtuoses, klang- und rhythmusgebendes Spiel ergänzt steht der Kontrabass akustisch und musikalisch in einem selten so erlebten Gleichgewicht mit Piano und Schlagzeug. Ein toller Konzertabend [mit> 95% geimpften Gästen] so dass wir auch mal wieder entspannt ein Glas Wein dazu genießen konnten.

Tack så mycket Martin, muchas gracias Omar und vielen Dank an Jürgen Spiegel

 

Photos
Pressebericht

ALL ABOUT JAZZ: zum Konzert des Tingvall Trios in der Ratinger Friedenskirche am 27.08.2021, von Phil Woolever

Freie deutsche Übersetzung. Text in englischer Originalsprache auf der englischen Seite unserer Website

Selbst in einer vollwertigen Konzertsaison wäre diese mitreißende Show des Tingvall Trios ein Höhepunkt der europäischen Konzertreihen. In Zeiten von Auftrittsabsagen und -verschiebungen kam diese hundertminütige Tour de Force wie musikalisches Manna von einer wohlwollenden Jazz-Gottheit.

Da es sich bei dem Veranstaltungsort um eine Kirche in der Nähe von Düsseldorfer handelt und das Konzert die mitreißende Rückkehr einer beliebten Konzertreihe nach vielen Monaten unter Quarantäne stehender Stille signalisierte, passt die Analogie ebenso gut wie ein sichtlich ekstatisches Publikum in einem umgebauten Saal. Seit dem Moers Festival im vergangenen Mai haben die Liebhaber in der Region wohl nicht mehr so optimalen Live-Jazz gehört.

Das Hamburger Trio, bestehend aus dem Schweden Martin Tingvall am Klavier, dem kubanischen Bassisten Omar Rodriguez Calvo und dem deutschen Schlagzeuger Jürgen Spiegel, hat sich in Westeuropa eine wachsende Fangemeinde erspielt, und das schillernde Set des heutigen Abends zeigte genau, warum. Tingvalls schwedische Wurzeln und das Trio-Format haben immer wieder Vergleiche mit Esbjörn Svensson und E.S.T. aufkommen lassen, aber während solche Stereotypen wahrscheinlich unvermeidlich sind, haben Tingvall und seine Mitstreiter mehr als genug individuelles Talent, um ihre eigene Brillanz zu erreichen.

Der größte Teil des Sets stammte vom kürzlich erschienenen Album Dance (Skip 2020), und während ein Großteil dieses Albums mit leidenschaftlicher Präzision wiedergegeben wurde, gab es auch viele Momente mit offensichtlich verändertem Flair, die für ein ansteckendes Grinsen sorgten, während die Band zufriedene Blicke austauschte. Zu diesem Zeitpunkt, inmitten erfolgreicher Tourneen, war ihr Material offensichtlich gut einstudiert, aber spürbare Anflüge von klarer Improvisation bewahrten vertraute Stücke davor, formelhaft zu werden.

Rodriguez Calvo demonstrierte den ganzen Abend über seine unaufdringliche Meisterschaft am Standup-Bass. Bei "Arabic Slow Dance" war sein Bogen noch ausgeprägter als auf dem Album und schuf eine zutiefst einnehmende Grundlage aus modifizierten Phrasierungen, die Tingvalls sublim kreisenden Läufen große Wirkung verliehen. Die langgezogene Struktur des Songs ließ Tingvall Zeit, jede Verzierung voll auszuschöpfen, ohne jemals zu übertreiben - ein Paradebeispiel für das Hinzufügen komplexer, abstrakter Schichten zu einem Thema.

Die synchronen Polyrhythmen der einzelnen Musiker, wenn sie bei Songs wie "Cuban SMS" und "Ya Man" in die Vollen gingen, waren wirklich belebend, während Songs wie "Skansk Blues" und "Movie" so flüsternde Fade-Outs hatten, dass man eine N95-Maske während der Berührungsproben aus dem Lehrbuch fallen hören konnte. Spiegels minimalistisches Gretsch-Kit war fast identisch mit dem des kürzlich verstorbenen Rolling Stone Charlie Watts ("Das war mir vorher bewusst, und besonders jetzt nach all den Bildern, die gepostet wurden", sagte Spiegel danach), und der deutsche Schlagzeuger brachte die Menge mit einigen wirbelnden Wechseln zwischen seinen Becken und der Snare definitiv zum Rocken.

Das vorletzte "Grrrr" sorgte für einen Höhepunkt, und die abschließende Ballade "In Memory" beleuchtete die dramatische Bandbreite der Gruppe an Ergriffenheit. Als sie unter dem stetigen Klatschen der Gemeinde ein zweites Mal zurückkehrten, wirkte es, anders als bei den meisten vorhersehbaren Zugaben, wie eine unerwartete Ergänzung zu einer bereits wunderbaren Show. Es herrschte ein spürbarer Geist gemeinschaftlicher Energie, der das Konzert weit mehr wie eine gemeinsame künstlerische Erfahrung als eine kommerzielle Übung erscheinen ließ, ein Schlüsselfaktor für das, was ein Konzert außergewöhnlich macht.

Daniel Oberbanscheidt, der eastPLUGGED® Tontechniker, sorgte für eine vorbildliche Balance der Töne im Backstein-Innenraum der Kirche, vor allem bei einem leicht angepassten Mix, der die solistisch auftretenden Instrumente hervorhob. "Manchmal können wir nicht sagen, wie alles von der Bühne aus klingt, und es ist oft von Abend zu Abend anders", sagte Spiegel. "Es war schön, hinterher von den Leuten zu hören, wie sehr ihnen die Akustik gefiel."

Die Anwesenden waren mit dem, was sie hörten, durchaus einverstanden, und die positive Chemie zwischen ihnen war offensichtlich. Man konnte fast sehen, wie alle lächelten, selbst unter ihren nicht obligatorischen, aber vorherrschenden Masken.

Die eastPLUGGED-Reihe ist ein Projekt der USB-Stiftung, einer gemeinnützigen Organisation, die von privaten Stiftern finanziert ist und dem Konzertteam die Freiheit gibt, sich auf qualitativ hochwertige Produktionen statt auf eine Gewinnspanne zu konzentrieren. Die Stiftung und die Konzerte stehen unter der bewundernswerten Leitung von Dr. Thomas Becker und Holger Urbach, die beide sowohl in der Kunst als auch in der Wirtschaft bewandert sind und darüber hinaus eine beeindruckende Reihe anderer sozialer und kultureller Programme koordinieren, von denen einige der Obdachlosen-, Behinderten- oder Flüchtlingshilfe dienen. Die (Verbrauchs)Stiftung war die erste ihrer Art in Nordrhein-Westfalen. Ein großer Unterschied zu vielen anderen Stiftungen besteht in den finanziellen Richtlinien und Ausgaben.

"Die USB-Stiftung wird 2034 enden", erklärt Becker. "Die Zweckbindung gibt uns die Möglichkeit, Konzerte ohne Dritte und damit ohne Ansprüche solcher Förderer aus unserem Kapital zu finanzieren und in gleicher Weise auch die anderen gemeinnützigen Aktivitäten unserer Stiftung zu erledigen. Holger Urbach und ich sind seit 2013 ehrenamtliche Vorstände. Wir haben die drei Hauptziele der Stiftung, Kultur, Soziales und Umwelt, definiert. Holger ist einer der renommiertesten Tontechniker in der europäischen Klassik und ich bin ein Jazz-Fan, (also) haben wir vorgeschlagen, dass die Stifter eine hochkarätige Jazz-Reihe in Ratingen etablieren."

"Pfarrer Thomas Gerhold ließ lokale Musiker in der Kirche auftreten, und ich erkannte den besonderen "Spirit" des Raumes und vor allem seine fantastische Akustik", so Becker weiter. "Die Kapazität (250-300 in nicht-pandemischen Zeiten) ist klein genug für eine intime Atmosphäre, aber groß genug, um sich von einem Jazzclub zu unterscheiden. Die meisten Musiker werden entweder von Holger oder von mir selbst ausgewählt, einige wurden von Dritten empfohlen. Wir versuchen, den Künstlern den bestmöglichen Service zu bieten und haben uns im Laufe der Jahre einen gewissen Ruf erworben. Heutzutage bewerben sich zahlreiche Musiker oder deren Agenten, um bei eastPLUGGED zu spielen. Vor der Pandemie waren alle unsere vergangenen Konzerte bereits mehrere Monate vor dem Auftritt ausverkauft.

Zum Glück gibt es engagierte Musikfans wie die in der kleinen Stadt Ratingen, die solche Traditionen pflegen. In diesem Jahr wird das erste eastPLUGGED-Festival auf drei Abende Ende Oktober ausgeweitet.

Während COVID-19 eine Störung in der globalen Live-Musikszene bleibt, ist es einigen Musikern gelungen, sich in der sich ständig verändernden Landschaft zurechtzufinden und einen relativ vollen Tourneeplan aufzustellen. Der gute Ruf und die treue Fangemeinde des Tingvall Trios ermöglichten es ihnen, mehrere Termine und Auftrittsorte zu buchen, sobald die Einschränkungen durch die Pandemie nachließen. Ihre jüngste Tournee war eine der am stärksten frequentierten auf dem Jazzmarkt, und es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass sie das Niveau der besten Künstler des Genres erreichen. Das ist wahrscheinlich ein Grund, warum sie meist so fröhlich aussehen.

"Zeiten wie heute sind der Grund, warum wir gerne Musiker sind", meint Tingvall.  "Wir können in einem besonderen Rahmen auftreten und alle möglichen großartigen Jazzfans treffen, deshalb liebe ich diesen Job, auch wenn er eine Herausforderung ist. "

Als sich das triumphierende Trio verbeugte und gemeinsam mit seinen Fans applaudierte, sah es so aus, als seien die strahlenden Musiker ebenso zufrieden wie das Publikum. Der Jazz ist nach wie vor eine lebendige künstlerische Kraft, was zum Teil an den verschiedenen, einzigartig wertvollen Orten liegt, die wie lebendige Außenposten rund um den Globus gedeihen. Für ein paar magische Nächte im Jahr, während der eastPLUGGED-Veranstaltungen, wird die Friedenskirche zu einem solchen Ort.

Phil Woolever, im September 2021

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